Unser Projektteam war beim 73. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg (IFFMH) dabei. Marcel Lemmer wirft einen Blick auf zwei Filme, die Fragen zu Isolation und Gemeinschaft stellen: Shepherds von Sophie Deraspe und Happy Holidays von Scandar Copti.
Zwei Filme, zwei Welten – und doch eine gemeinsame Klammer: Sophie Deraspes Shepherds und Scandar Coptis Happy Holidays eröffnen auf eindrucksvolle Weise Fragen zur existentiellen Suche des Individuums nach Lebensperspektiven und Gemeinschaft in einer zerrütteten Welt.
In Shepherds flieht der Burnout-geschüttelte Mathyas aus der urbanen Enge Montreals in die Weite der Provence. Mit den Herausforderungen der Natur konfrontiert versucht er sich ein Leben allein und später mit eigener Schafsherde und seiner Begleitung Élise, die sich ihm anschließt, aufzubauen. Doch was als romantisierte Flucht in die Sehnsucht nach Sinn und Einfachheit beginnt, entpuppt sich als harte Konfrontation mit den Rhythmen der Natur. Deraspe zeichnet diese Reise als eine Lehrstunde der Demut vor der Natur, die sich von individuellen Wünschen nach Selbstbestimmung wenig beeindrucken lässt und nur mit menschlicher Kooperative gebändigt werden kann.
Dem gegenüber entfaltet Happy Holidays in der Tradition dessen, was euphemistisch im Pop oft als Familiendrama bezeichnet wird, den Mikrokosmos einer arabisch-palästinensischen Familie in Israel im Spannungsfeld kultureller und sozialer Modernisierungen. In Coptis Film prallen individuelle Wünsche auf kollektive Verpflichtungen. Während die Figuren versuchen, Halt inmitten eines moralisch und geografisch zersplitterten Alltags zu finden, stellt sich die Frage, ob angesichts der bereits in Familien vorherrschenden multidimensionalen Konfliktlinien ein auf die Familie aufbauendes gesellschaftliches Gefüge überhaupt möglich ist.
Während Mathyas die Isolation sucht, um zu sich selbst zu finden, ringt die Familie in Happy Holidays darum, im Chaos ihrer Verbundenheit zu bestehen. Beide Welten geraten an ihre existenziellen Grenzen: Die Schafsherde wird von Wölfen gerissen, und das unehelich gezeugte arabisch-israelische Baby wird abgetrieben. Gibt es einen Exit oder einen Neustart? Wahrscheinlich nicht, denn in beiden Welten herrschen die Gebundenheit an real-existierende Bedingungen. Was für unser zukünftiges Zusammenleben und mögliches Miteinander bleibt, ist die Konfrontation mit der Realität – und die kleinen Revolutionen und Befreiungen, die aus ihr erwachsen können.
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Bruno Chatelin, CC BY-SA 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0>, via Wikimedia Commons
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